Christus und die beiden Schächer

Jesus ist allezeit bereit und mächtig zu erlösen. Die beiden Männer, die mit ihm gekreuzigt wurden, hatten ein gottloses Leben hinter sich und zeigten auch jetzt, als sie schon am Kreuz hingen, eine leichtfertige Gesinnung. So verhärtet waren diese Männer, dass sie im Angesicht des gewissen Todes in leichtfertiger Weise über Jesus spotteten. Doch plötzlich verstummte einer der Räuber, denn vor seiner Seele zog sein vergangenes Leben vorüber. Sein Gewissen hielt ihm seine Sünden wie mit Donnerstimme vor, sodass sie wie feurige Kohlen auf dem Herzen brannten. Er sieht sich an den Pforten des Todes dem gerechten Richter gegenüber und zittert vor der Rechenschaft. Nirgends sieht er eine Zufluchtstätte vor den Vorwürfen seines verdammenden Gewissens.

Da hört er Jesus für seine Feinde beten. Vielleicht mag er schon einmal etwas von ihm gehört haben, dass er der Christus sei. Und in seinem Innern vernimmt er deutlich die Stimme: „Das ist der Mann, der dir noch helfen kann!“ Wie der Ertrinkende mit einem Schrei den Arm seines Erretters ergreift, so wendet er sich an Jesus: „Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“ (Lukas 23,42). Nach menschlicher Weise hätte man erwarten können, dass Jesus nicht auf den Hilferuf dieses Übeltäters geachtet hätte, da er selbst die entsetzlichsten Qualen litt. Aber so groß ist Jesu Sünderliebe, dass er in der bittersten Todespein die Bitten eines Tiefgefallenen hört und ihn mit starkem Arm aus dem Verderben zieht.

Der um Hilfe rufende Schächer sah die schauerliche Pforte des Todes und den gähnenden Abgrund der Verdammnis vor seinem Geist auftauchen und nirgends einen Ausweg zum Entrinnen. Und einen solchen Übeltäter aus dem Sündenelend, aus der Gewalt des Satans und der Verdammnis zu erretten und ihm einen Platz im Paradies zu sichern, das konnte nur er, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist. Ja, Christus ist mächtig zu erlösen!

Aber Jesus erlöst nur die, die in rechter Weise zu ihm kommen. Nur dem bußfertigen, gläubigen Schächer konnte der Herr die Aufnahme in das Paradies zusichern. Durch Unbußfertigkeit und Unglauben verschließt sich der Mensch das Himmelreich. Der nach Erlösung seufzende Schächer beugte sich demütig unter die über ihn verhängte Strafe, bekannte öffentlich seine Schuld und strafte seinen Mitgekreuzigten über seine leichtfertige Gesinnung und Redensart. Die Veränderung in seinem Innern war so radikal, dass er sich von seinen Sünden losriss und sich an Jesus wandte. Trotz der schmähenden Menschenmenge bezeugte er Jesu Unschuld. Aus dem frechen Sünder war ein bußfertiger, um Gnade flehender Mensch geworden.

Der Glaube des Schächers an Jesus war noch merkwürdiger als seine Buße. Er konnte mit seinen natürlichen Augen nur einen gekreuzigten, von Gott und Menschen scheinbar verlassenen Menschen sehen. Und doch nennt er ihn Herrn eines Reiches, in das er aufgenommen werden möchte. An ein irdisches Reich konnte er wohl nicht denken. Durch seine Bitte: „Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!“, gab er seiner Überzeugung Ausdruck, dass Jesus der König eines überirdischen Reiches sei.

Der Heilige Geist hatte ihn innerlich erleuchtet, dass er in dem Schmerzensmann den verheißenen Messias erblickte. Und der Heiland sicherte ihm das Himmelreich zu mit den Worten: „Heute wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Der Schächer wurde noch in der letzten Stunde gerettet, aber nur wie ein Schiffbrüchiger, der mit dem bloßen Leben davonkommt.

Doch wie erging es dem anderen Schächer? Er nahm nicht die Gelegenheit wahr und ging somit in die Verdammnis, „wo ihr Wurm nicht stirbt und das Feuer nicht verlöscht“ (Markus 9,48).