Der Evangeliums Bote I. Quartal 2011

Auszug:

Umsonst

Es war an einem bitterkalten Tag zur Zeit der großen Arbeitslosigkeit. Endlich hatte ich mein Ziel, eine schmutzige Straße im Norden Berlins, erreicht. Als ich um die Ecke bog, kam mir ein Mann entgegen, der einen Korb mit Heringen trug. Laut rief er: “Heringe, drei Stück für 30 Pfennige! Salzheringe, gut und billig!” So lief er die Straße entlang, kehrte am anderen Ende wieder um und kam langsam zurück zu der Ecke, an der ich stand. Eine Weile sah er mich an, dann überwand er sich und fragte: “Was sagen Sie zu diesen Heringen, mein Herr? Glauben Sie, dass sie gut sind? Und billig sind sie doch auch, nicht wahr?” – “Ja”, gab ich ihm recht, “sie sind gut und preiswert.” – “Aber warum kann ich sie dann nicht loswerden? Nun bin ich eineinhalb Stunden bis in diese elende Gegend gelaufen, und keiner kauft mir etwas ab!”- “Diese Leute sind in einer Notlage. Sie haben keine Arbeit. In dieser Gegend gibt es Häuser, in denen kein Pfennig zu holen ist.” – “Ich wusste, dass die Leute hier arm sind, aber ich dachte, drei Stück für 30 Pfennige, das würde sie locken. Freilich, wenn sie nicht einmal so viel haben, können sie es auch nicht ausgeben. Ich glaubte, dadurch, dass ich sie billig verkaufe, könnte ich den Leuten etwas Gutes tun und dabei selbst noch eine Kleinigkeit verdienen. Aber damit ist es wohl nichts.” – “Wie viel wollen Sie für das Ganze haben?”, fragte ich ihn. Zuerst ein forschender Blick zu mir, eine kurze Musterung seiner Ware, eine schnelle Berechnung, und schließlich sagte er: “Gut, dann verlange ich neun Mark.“ – “In Ordnung”, erwiderte ich, “hier haben Sie Ihre neun Mark, und die Fische, die können Sie gleich behalten!” – “Aber was soll ich damit tun?”, fragte er. – “Gehen Sie um die Ecke und schreien Sie ‘Heringe umsonst!’ Geben Sie jedem, der vorbeikommt, drei Heringe, bis der Korb leer ist!”
Der kleine Händler bog auch schon in die Nebenstraße ein, wobei er aus voller Kehle rief: “Heringe umsonst, gute Salzheringe umsonst!”
Ich selbst blieb an meiner Ecke stehen und beobachtete von dort, wie sich der Mann bemühte, seine Ware loszuwerden. Beim ersten Haus angelangt, zeigte sich eine große, hagere Frau am Fenster. “Hallo”, rief der Händler laut, “Heringe umsonst! Eine gute Gelegenheit – greifen Sie zu!” Aber die Frau schüttelte ungläubig den Kopf und verließ das Fenster. – “Wie dumm”, kommentierte er, und rief wieder: “Heringe umsonst!” Dann kam ein kleines Mädchen heraus und sah ihn neugierig an. “Hier, Kleine, nimm die Heringe für deine Mutter mit! Sag ihr, dass sie dich keinen Pfennig gekostet haben. – Heringe umsonst!” Aber die Kleine fürchtete sich vor dem Mann und rannte ins Haus zurück.
So wanderte der Verkäufer die schmutzige Straße hinunter und rief immerfort, so laut er konnte: “Heringe umsonst!” Als er am Ende der Straße angelangt war, kehrte er um und alles wiederholte sich mit dem gleichen Ergebnis. Niemand wollte die Heringe haben.
Als er mit seinem vollen Korb wieder neben mir stand, wollte er wissen: “Was soll ich mit den Heringen machen, wenn die Leute sie nicht haben wollen?” –
“Wir werden es noch einmal zusammen versuchen”, antwortete ich, “ich komme mit Ihnen, und wir bieten sie gemeinsam an.” So gingen wir dann los und riefen abwechselnd: “Heringe umsonst! Wer will Heringe zum Abendbrot haben?” Kaum hatten die Leute meine vertraute Stimme erkannt, kamen sie in Scharen aus den Hauseingängen. Alle drängten sich herbei, um Heringe zu bekommen. Im Nu waren wir alle Fische los. Als der Korb leer war, war die hungrige Menge, die keine bekommen hatte, größer als die Zahl derer, die fröhlich heim gingen. Sie hatten sich zu spät entschlossen. Allen voran unter den Enttäuschten empörte sich die hagere Frau, die am Fenster gestanden hatte: “Warum habe ich keine bekommen? Bin ich nicht ebenso gut wie die anderen?”
Du lächelst vielleicht über diese Begebenheit, die sich genauso zugetragen hat, wie ich sie erzählt habe. Aber, geht es dir eventuell ähnlich wie diesen Leuten? Durch ihren Unglauben verscherzten sie sich nur ein kostenloses Abendessen. Was aber entgeht dir, wenn du Gott nicht glaubst? Gott hat dir schon so manche Gelegenheit gegeben, hat dir Seinen Sohn gesandt, um dir “umsonst” Vergebung anzubieten, Frieden und ewiges Heil”- “Rettung umsonst!” – Und was hast du Ihm geantwortet? Hast du dich in verächtlichem Unglauben abgewandt wie jene Frau? Gott spricht: “Wohlan, alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! Und die ihr kein Geld habt, kommt her, kauft und esst! Kommt her und kauft ohne Geld … Hört doch auf Mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben. Neigt eure Ohren her und kommt her zu Mir! Höret, so werdet ihr leben!”
“Rettung umsonst!” – Was wird deine Antwort sein?