Die weggeworfene Bibel

Die Bibel auf den Gleisen

„Wirf das Ding zum Fenster hinaus!“

Soldaten können sich meistens gut unterhalten und haben großen Spaß an Scherzen, über die man lachen kann, besonders, wenn sie in der Bahn fahren. In einer Abteilecke saß ein junger Rekrut und las in seiner Taschenbibel. „Wir wollen uns mit dem frommen Knäbchen mal einen Spaß erlauben und werfen die Bibel aus dem Fenster.“

Es war das Werk einer Sekunde, da lag die Bibel zwischen den Gleisen. War der junge Soldat böse? Nein, er hatte einen Meister, der gesagt hat: „Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig“ (Matth. 11,29). Er war traurig, aber er schwieg.

Ein paar Tage später bekam unser junger Freund mit der Post ein Päckchen, in welchem seine Bibel war. Dabei lag ein interessanter Brief. Ein Gleisarbeiter, der in jener Gegend beschäftigt war, hatte die Bibel gefunden und durch sie die Stimme Gottes gehört. Er hatte bis dahin große Angst wegen seiner Sünden, aber durch das Lesen der Heiligen Schrift war er in Wahrheit dem Heiland begegnet.

Nun verstand der Soldat, warum er seine Bibel ein paar Tage hatte entbehren müssen und auch, dass der Teufel wieder eine Niederlage erlitten hatte. Gott wacht über seinem Wort. Achte darauf, was er dir zu sagen hat, wenn er zu dir spricht.

Der Weg zueinander

Monika war von Herzen froh gewesen, als ihres Mannes Mutter sich bereit erklärt hatte, zu ihnen zu ziehen. Sie erwarteten gerade ihr zweites Kind. Ihre Schwiegermutter war erst Mitte der Fünfzig, also noch rüstig, ihr tatkräftig zu helfen. Ihr Mann war Angestellter eines großen Betriebes und sie hatten eine geräumige Dienstwohnung. Somit war genügend Platz vorhanden.

Frau Gerber, Ulrichs Mutter, hatte ihr Leben lang viel geleistet. Es war ihr geradezu ein Bedürfnis, für andere zu arbeiten und zu sorgen. Die junge Frau hatte dankbar die Entlastung durch ihre Schwiegermutter angenommen.

Die Jahre gingen dahin. Nun besuchten die beiden Kinder schon die Schule. Frau Gerbers Kräfte ließen nach. Langsam merkte sie, dass Monika ihre Mithilfe auch nicht mehr wünschte. „Lass nur, Mutter! Ich mache das viel schneller“, hieß es nun häufig.

Schmerzlicher noch empfand sie es, dass auch die Kinder sich von ihr zurückzogen. Das stille Zimmer der Großmutter verlor für sie den Reiz. Frau Gerber war eine vernünftige Frau. Sie sagte sich nüchtern, dass die Kinder durch Schule und Spielgefährten mehr und mehr beansprucht wurden. Aber trotzdem schmerzte es sie, allmählich in den Hintergrund geschoben zu werden. Offensichtlich benötigte niemand ihren Rat oder ihre Hilfe.

Außerdem war es Monika nicht recht, dass Mutter bei Einladungen von Gästen bis zum Schluss blieb, ja sich gern an der Unterhaltung beteiligte. – Beide Frauen hüteten sich vor Streit, aber Monika seufzte, und die alte Frau grämte sich. „Ich bin überflüssig“, sagte sie traurig. „Ulrich ist durch seinen Beruf so überfordert, dass er keine Zeit für mich findet.“ Gerechterweise fügte sie bei sich hinzu: „Er ist gut zu mir, aber natürlich gehört er in erster Linie zu seiner Frau und den Kindern. Ja, wenn Monika dann und wann ein liebes Wort für mich hätte…“

In der Tat war Monika eine kühle Natur. Das bewahrte sie wohl vor Ausbrüchen des Temperaments, aber sie bedachte nicht, dass ein alter Mensch schnell friert und ein wenig wärmende Liebe braucht, um nicht zu verbittern.

Eines Tages sprach sich die junge Frau einer Freundin gegenüber aus: „Ich wünschte, Mutter zöge in ein Altenheim.“ – „Aber sie ist doch noch so gesund und hilfsbereit. Sie spült dir das ganze Geschirr, bügelt die Wäsche und bessert sie aus“, entgegnete die andere. Warmherzig fügte sie hinzu: „Sie ist so bescheiden, und man spürt, wie lieb sie euch alle hat.“

„Aber wenn sie nur nicht so empfindlich wäre!“ – „Wer weiß, wie wir selbst einmal im Alter sind. Vielleicht ganz unausstehlich, jammern über alles und haben immer schlechte Laune.“ Die beiden jungen Frauen lachten, doch Monika war innerlich getroffen.

Am Abend fragte sie ihre Kinder: „Habt ihr Großmutter schon ‚Gute Nacht‘ gesagt?“ – „Das tun wir doch schon lange nicht mehr“, sagte Gert. – „Ich wünsche es aber. Geht sofort zu ihr und vergesst es nicht mehr!“

Frau Gerber staunte, als die Kinder kamen. „Eigentlich könntest du uns noch was erzählen – wie früher“, schlug Ulrike vor.

Gerade als Frau Gerber ein Buch zur Hand nahm, um am Schluss des Tages noch zu lesen, klopfte es an ihre Tür und Monika trat ein. „Nur für ein Viertelstündchen“, sagte sie freundlich. „Ulrich ist noch nicht zurück.“ Frau Gerber verbarg ihr Verwundern. Ihr Herz war noch erwärmt vom Besuch der Enkelkinder. „Ich freue mich, wenn du kommst“, sagte sie schlicht.

Bald waren sie in ein Gespräch vertieft. Monika dachte: Mutter ist geistig doch noch recht rege. Frau Gerber sagte sich heimlich: „Ich will Geduld haben. Monika ist noch jung. Ich will sie recht lieb haben und mich nicht so schnell kränken. Sie ist ein verschlossener Mensch. Vielleicht öffnet sie mir allmählich ihr Herz und schenkt mir einen kleinen Platz darin.“

Wie kurz ist doch der Weg zueinander, wenn man ihn aus Liebe sucht. Selbst wenn es etwas länger dauert, es Geduld und Vertrauen bedarf, beglückt es die Herzen und lässt Alt und Jung glücklich miteinander leben.

Das vergessene Morgengebet

Ein Bergbauer hatte die lobenswerte Gewohnheit, sein Tagewerk jeden Morgen mit Gebet anzufangen und es am Abend auf gleiche Weise zu beschließen. Das war sehr gut, denn das Beten war bei ihm nicht eine leere Form. Es war ein Reden mit Gott und ein Hören auf Gottes Stimme. Er empfing beim Gebet immer einen Segen und war nach dem „Amen“ reicher als vorher.

Aber einmal wäre dieser Bauer beinahe um seinen Morgensegen gekommen – und das ging so zu:

Es war zur Zeit der Heuernte und die Arbeit drückte. Unser Bauer war am Abend vorher sehr spät ins Bett gekommen und wollte am Morgen sehr früh, jedenfalls noch vor dem ersten Hahnenschrei, wieder auf der Wiese stehen, um beim Mähen vom Tau zu profitieren. Auch liebte er es, immer einer von den ersten zu sein, denn von den Schlafmützen hielt er gar nichts.

Als er nun aber morgens aufwacht, schaut schon die Sonne zu seinem Kammerfenster herein und malt zitternde Kringel auf seine Bettdecke. Das merken und aus dem Bett springen ist für unsern Bauern eins. Im Nu steckt er in den Kleidern, hat die Sense auf dem Rücken und eilt mit Riesenschritten zum Dorf hinaus.

Aber sieh da – plötzlich zögert er einen Augenblick. Was ist’s nur? Hat nicht eine Stimme hinter ihm gerufen: „Marte, du hast ja das Beten vergessen!“?

„Ach was“, erwidert er dem ernsten Mahner, der ihm nicht auf den Fersen folgt, sondern da drin unter dem Brusttuch sitzt, „die Zeit ist heute knapp. Bin ohnehin schon viel zu spät dran. Ich will unterwegs beten.“

Und er versucht seine Gedanken zu einem kurzen Gebet zu sammeln; aber es geht nicht. „Marte“, drängt vielmehr der Mahner. „Marte, was ist’s nur mit dir? Hast du wirklich keine Zeit mehr für deinen Heiland?“

„Doch, doch! Nur jetzt im Augenblick nicht. Nachher dann, wenn ich abgemäht habe!“

„Wie, Marte, gehst du so mit deinem Heiland um? Wie, wenn er auch einmal sagen würde: ,Ich habe jetzt keine Zeit für dich, Marte! Später, später – nur jetzt im Augenblick nicht!‘?

Und dem Marte wird’s heiß. Die hellen Schweißtropfen stehen ihm auf der Stirn. „Tropf, der ich bin!“ murmelt er zwischen den Zähnen. Und dann – kehrt! Und heim geht’s im Sturmschritt! Und nach wenigen Minuten liegt er im Kämmerlein, hinter verschlossener Tür, auf seinen Knien und ist ganz allein mit seinem Heiland. Und was die beiden miteinander geredet haben, brauch ich euch nicht zu verraten.

Aber, dass sich der Marte jetzt genügend Zeit zum Beten genommen hat, und dass er nach dem Amen zum zweitenmal hinausgegangen ist zur Arbeit mit einem Lobgesang im Herzen, und dass er hernach einzigartig geschnitten hat, auch ohne Tau im Gras, also dass er zur rechten Zeit fertig geworden ist: das hat der Marte selber lange Zeit nachher einem Nachbarn mit leuchtenden Augen erzählt und hinzugefügt: „Probier’s nur, und geh jeden Tag mit deinem Heiland an die Arbeit. Du wirst sehen – dann wird’s gut gehen.“

Besondere Waffen

Mit schussbereiten Waffen näherte sich der amerikanische Spähtrupp im 2. Weltkrieg dem Dorf. Die Vorsicht war angebracht, denn hier, auf der Insel Okinawa, leisteten die Japaner besonders erbitterten Widerstand. „Sieht nach einer Falle aus!“, knurrte der Leutnant. „Beim geringsten Zeichen sofort schießen!“ Seine Männer nickten.

Als sie bis zum Dorfeingang vorstießen, blieben sie plötzlich wie angewurzelt stehen. Da standen zwei alte Männer und verbeugten sich tief vor den Soldaten. Einer, er hatte ein Buch in der Hand, begann rasch auf den Offizier einzureden – japanisch.

Der Leutnant winkte dem Dolmetscher: „Frag die Leute, was das bedeuten soll!“ Der Dolmetscher hörte aufmerksam zu, dann breitete sich ein ungläubiges Lächeln über sein Gesicht. „Sie sagen, sie heißen uns in Schimabuku in Christi Namen als ihre Brüder willkommen. Was der Alte da in der Hand hält, das ist eine Bibel. – Mensch, so etwas ist mir mein Lebtag noch nicht vorgekommen.“

„Sag ihnen, sie sollen uns durch ihr Dorf führen.“ Die Soldaten trauten dem Frieden noch nicht ganz. Aber voller Stolz führten die beiden Männer die Amerikaner durch das Dorf, zeigten ihnen die netten Häuser, die sauberen Wege, die Kornspeicher und die fruchtbaren Felder. Die Soldaten konnten sich nicht genug verwundern. Sie hatten schon manches Dorf auf Okinawa gesehen, aber die hatten alle anders ausgeschaut. Ein wahres Schmuckstück war dieses Schimabuku!

„Wir haben erst einen Amerikaner kennengelernt“, erzählten die Männer. „Das war ein Missionar, der vor vielen Jahren bei uns war. Als er uns verließ, hat er uns dieses Buch hinterlassen!“ Sie wiesen auf die Bibel. „Seither sind wir nicht mehr mit fremden Christen zusammengekommen, aber wir haben uns bemüht, nach den Anweisungen dieses Buches zu leben.“

Sie hatten die Bibel sorgfältig gelesen und sich danach ihre Gemeinschaft aufgebaut. Die Bibel erfüllte das ganze Leben. In der Schule war es das Lesebuch, für den Bürgermeister war es das Gesetzbuch, nach dem er Streitfälle in der Gemeinde schlichtete. Der Erfolg war deutlich zu sehen. In Schimabuku gab es kein Gefängnis, Trunkenheit und rohe Vergnügungen waren unbekannt. Die Einwohner waren wohlhabend, gesund und zufrieden.

Verlegen starrten die Soldaten auf ihre Gewehre, die ihnen mit einem Mal auf dieser Insel des Friedens unnötig und überflüssig erschienen. „Das haben Leute zustande gebracht, die nach der Bibel leben“, murmelte einer vor sich hin. „Ich glaube, wir haben die falschen Waffen.“

Aus Nacht zum Licht

Lieber Leser, ich möchte dich zu einer abendlichen Feierstunde einladen. Sie fand vor etwa 60 Jahren in Deutschland in einem kleinen Kreis statt. Es war in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg. Die Runde hatte kurz vorher eine Reihe von weihnachtlichen Liedern gehört, jetzt saßen sie zusammen und sprachen über das Gehörte.

Manche hatten schon ihre Meinung gesagt, welches Lied ihnen am besten gefallen habe. Dann ergriff jemand, der bis dahin schweigend zugehört hatte, ein wenig verhalten das Wort: „Für mich gibt es eigentlich nur ein Adventslied, Paul Gerhardts ‚Wie soll ich Dich empfangen und wie begegne ich Dir?‘ Was in den Strophen dieses Liedes ausgedrückt wird, das habe ich erlebt, als ich äußerlich und innerlich im Dunkel saß.”

Wohl allen war das Schicksal dieser Frau bekannt, die überanstrengt und blass in ihrer Mitte saß. Ihr Mann war schon am Anfang des Weltkrieges gefallen, den einzigen Sohn hatten die letzten Kämpfe 1945 verschlungen. Seitdem hatte sie kein Lebenszeichen mehr von ihm bekommen. Geblieben war ihr nur eine 12-jährige Tochter und die alte Mutter, die sie bei sich aufgenommen hatte, nachdem sie ausgebombt wurden. Lange Zeit hatte sie nicht arbeiten können, da sie unter den harten Schlägen des Leides innerlich fast zerbrochen war. Inzwischen aber hatte sie ihre Tätigkeit wieder aufgenommen, und man konnte an der Art, in der sie mit den Menschen umging, etwas von einer inneren Kraft spüren, die ihr neu geschenkt worden war. Darum sahen sie alle erwartungsvoll an, hoffend, etwas von ihrem inneren Erleben zu hören und womöglich den Quell zu erblicken, aus dem sie neue, innere Kraft geschöpft hatte.

“Letzten Advent war’s, als ich völlig am Ende war. Meiner Arbeit, die ich im Sommer aufgenommen hatte, konnte ich nicht nachgehen; Stromsperre und Kälte machten das unmöglich. Wie Riesen stürmten die bitteren, klagenden und verzweifelnden Gedanken auf mich ein, und ich konnte ihnen nicht entrinnen. Nebenan saß Elisabeth und versuchte, auf dem Klavier die Melodie von Paul Gerhardts Adventslied zusammenzubringen. Ich hätte mit ihr gerade im Dämmern ein wenig adventlich feiern sollen. Ich wusste, dass sie sich danach sehnte, aber ich konnte mich nicht aufraffen. Wenn doch nur irgendetwas gewesen wäre, was die innere Starre löste! Hätte ich doch nur einmal weinen können! Nun begann Elisabeth nebenan zu ihrem Spiel die erste Strophe des Liedes auch noch zu singen. Leise, aber klar tönten die Worte zu mir herüber: ‚Wie soll ich Dich empfangen?‘ –

Das traf mich! Hatte ich in all den Jahren der Vergangenheit je daran gedacht, IHN zu empfangen? Damals, als wir noch sorglos zusammen saßen? Wir hatten doch alle nur an uns gedacht und völlig genug gehabt an uns selbst. Ich auch. Im Grunde war der Heiland Jesus Christus eine recht ferne, verschwommene Figur gewesen. Der Zauber der Stimmung hatte Ihn verdrängt, und keine Not in uns hatte nach Ihm die Hände ausgestreckt. Es ging uns ja gut! Gewiss, wir hatten auch damals gesungen: ‚O aller Welt Verlangen‘, aber wie oberflächlich war das gewesen. Hatten wir uns darum so verloren in der Welt und jeden Halt eingebüßt, weil wir immer nur uns selbst, aber niemals Ihm begegnet waren? Jetzt, in dem Zusammenbruch, der schier alles verschlungen hatte, was ich einmal besaß, empfand ich erst, wie arm der Mensch ist ohne Christus. Ich musste langsam dahinsiechen wie so viele andere, weil ich nur mich selbst kannte. Sollte noch einmal ‚mein Herz grünen in stetem Lob und Preis‘, dann musste ich IHN empfangen.

Da sind mir zum ersten Mal nach langen Jahren wieder Tränen gekommen. Tränen des Schmerzes, dass ich an meinem Heiland so lange vorübergegangen war. Tränen aber auch der Freude, dass Er dennoch zu mir kam. Ich bat Gott um Vergebung und tat aufrichtige Buße. Nun wusste ich: Jetzt bin ich ein Kind des Vaters im Himmel, weil Sein Sohn zu mir gekommen ist. Ich wusste, dass ich nun erst auf rechter Straße war, und dass ich nun künftig auch die Aufgabe erfüllen könne, ‚Seinem Namen zu dienen, so gut ich kann und weiß.“